Positionspapiere von TANG

22. Mai 2020: Mindeststandards für alle Flüchtlingsheime und Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland in Zeiten der Corona-Pandemie

Asylbewerber in Massenunterkünften sind in Corona-Zeiten besonders gefährdet. In Massenunterkünften, Sammelküchen, gemeinsam genutzten Sanitäranlagen und Mehrbettzimmern kann sich das Virus rasant verbreiten. Menschen, die auf engem Raum leben, können sich nicht selbst isolieren oder den gebotenen Mindestabstand zwischen von 1,5 bis 2 Meter einhalten. Der Schutz vor Ansteckung mit dem Corona-Virus ist unter solchen beengten Wohnverhältnissen nicht möglich.

Bei der Eindämmung der Corona-Eindämmung darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Dies haben auch zwei Gerichtsurteile bestätigt. Während für die einheimische Bevölkerung der Rückzug in die Privatwohnung, häufiges Händewaschen und Minimierung sozialer Kontakte möglich ist, haben geflüchtete Menschen in Sammelunterkünften diese Möglichkeit nicht.

Kommt es zu einer Corona-Infektion in einer Flüchtlingsunterkunft, ist laut einer Studie des Forschers Kayan Bozorgmehr von der Universität Bielefeld das Risiko einer Ansteckung im Schnitt etwa so hoch wie auf einem Kreuzfahrtschiff. Flüchtlingsheime und – unterkünfte könnten damit zu einem Corona-Hotspot werden.

Dies haben die auch die Ereignisse der vergangenen Wochen gezeigt. Nur einige wenige Beispiele:

Nordrhein-Westfalen: In einem Flüchtlingsheim in Sankt Augustin bei Bonn sind 130 Flüchtlinge positiv auf Corona getestet worden. Das erste positive Testergebnis war am 14.05.2020 bekannt geworden. Insgesamt 300 Speichelproben wurden in dem Flüchtlingsheim bis Sonntag genommen. 130 Proben sind positiv. Erkrankt ist bisher noch niemand. Zuvor waren in Nordrhein-Westfalen bereits zwei Einrichtungen stärker betroffen. So wurden in Euskirchen mehr als 50 Personen positiv getestet, in Mettmann bei Düsseldorf kam es in einem Flüchtlingsheim zu mehr als 30 Positivfällen.

Baden-Württemberg: In der Erstaufnahmestelle für Geflüchteten in Ellwangen (Ostalb-Kreis) wurden alle Bewohner getestet. Ergebnis: Von den 580 Flüchtlingen haben sich 259 mit dem Coronavirus infiziert. In der LEA-Außenstelle in Giengen an der Brenz stellten die Mediziner weitere Infektionen fest. Von den dort untergebrachten 39 Flüchtlingen wurden 13 positiv auf das Coronavirus getestet.

Sachsen-Anhalt: Im Flüchtlingsheim in Halberstadt wurden von 850 Bewohnerinnen und Bewohnern 108 positiv auf das Coronavirus getestet.

Bayern: 89 der etwa 600 Asylbewerber im Ankerzentrum im unterfränkischen Geldersheim sind positiv auf das neue Coronavirus getestet worden. Ein Flüchtling aus Armenien, der an Covid-19 erkrankt war, starb.

Bremen: In einer zentralen Erstaufnahme für Geflüchtete in Bremen sind 120 Infektionen mit dem Coronavirus bestätigt worden.  Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums sagte am 23. April 2020 auf Anfrage des Tagesspiegel, allein aus den vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge betriebenen Unterkünften seien Ende April an 19 Orten in zwölf Bundesländern 328 Corona-Infizierte gemeldet worden.

Eine Sprecherin des Bundesministeriums sagte am 23. April 2020 auf Anfrage des Tagesspiegels, allein aus den vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge betriebenen Unterkünften seien Ende April an 19 Orten in zwölf Bundesländern 328 Corona-Infizierte gemeldet worden.

Angesichts dieser Situation fordert The African Network e.V., das Bundesnetzwerk TANG, einen sicheren und geschützten Wohnraum für alle Geflüchteten in Flüchtlingsheimen und Flüchtlingsunterkünften in Zeiten der Corona-Pandemie.  

 

  1. Um die Verbreitung des Virus zu stoppen und die Geflüchteten selbst vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus zu schützen, muss der Anspruch auf Wohnfläche erhöht werden. Bislang hat jeder Geflüchtete, der in einer Gemeinschaftsunterkunft lebt, Anspruch auf sieben Quadratmeter Wohnfläche. Dieser Anspruch muss während der Corona-Pandemie auf mindestens 14 Quadratmeter verdoppelt werden. Um die erforderlichen Abstandregeln einhalten zu können, dürfen die Schlafzimmer maximal von zwei Menschen bewohnt werden. Die gemeinschaftlich genutzten Flure müssen mit entsprechenden Mitteln desinfiziert werden.
  2. Für ausreichend Hygiene in den Gemeinschaftsduschen muss gesorgt werden. Es müssen genügend Toiletten und Duschen vorhanden sein. Die Sanitärräume müssen zwei- bis drei Mal am Tag gereinigt werden.
  3. Die gebotenen Abstandsregeln müssen auch bei der Benutzung der Gemeinschaftsküche eingehalten werden können. Jedes Zimmer bekommt feste Kochzeiten zugeteilt.
  4. Die ausreichende Ausstattung mit Hygieneartikeln muss gesichert sein. Die Bewohner müssen mit ausreichend (Einweg)-Masken, Seife, Einwegtüchern und Desinfektionsmitteln versorgt werden.
  5. Die positiv getesteten Bewohner müssen von den negativ getesteten klar getrennt werden.
  6. Die soziale Betreuung durch hauptamtliche Fachkräfte muss in der Unterkunft gesichert sein bzw. gestärkt werden. Die Fachkräfte müssen die Möglichkeit haben, vor Ort Beratung anbieten zu können. Informationen über COVID-19 und die Prävention muss in verschiedenen Sprachen angeboten werden.
  7. Die medizinische Versorgung und regelmäßige Tests müssen sichergestellt sein.
  8. Ältere, Menschen mit Vorerkrankungen, Schwangere und Kleinkinder müssen in Wohnungen oder Hotels statt in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden.
  9. Die Digitalisierung in den Gemeinschaftsunterkünften muss ausgebaut werden (IT-Raum mit PC-Arbeitsplätzen inkl. Drucker schaffen). In der Corona-Krise zeigt sich, dass die schulpflichtigen Kinder nicht in der Lage sind die Unterlagen, die die Schule digital schickt, zu bearbeiten. Die Kinder haben somit einen großen Nachteil ihrer Bildungschancen.
  10. Die Verpflegung muss warme und ausreichende Mahlzeiten für jeden Bewohner enthalten. Es ist wichtig, auf die landestypischen Essgewohnheiten Rücksicht zu nehmen und landestypische Lebensmittel auszugeben.
  11. Kommt es in einer Massenunterkunft zu Tests, Isolierungen von einzelnen Bewohnern oder Quarantäne, müssen diese Maßnahmen frühzeitig und geduldig erklärt werden. Solche Eingriffe lösen große Ängste aus und können zu Spannungen und Unruhen führen.

 

Seit 2016 hat TANG in seinen Projekten „Menschen stärken Menschen“ und „Gemeinsam für mehr Teilhabe“ mehr als 5000 Geflüchtete begleitet und betreut.